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23.03.22 –
Presseinformation
Nr. 075.22 / 23.03.2022
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Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 27+38+42+43+44+48+48A – Für eine leistungs- und wettbewerbsfähige Wehrtechnikbranche – Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als nachhaltig einstufen; Bericht zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Land- und Ernährungswirtschaft in Schleswig-Holstein; Bericht zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Wirtschaft in Schleswig-Holstein; LNG-Terminal in Brunsbüttel als Multi-Energie-Terminal zügig realisieren; Energiesouveränität voranbringen; Energieversorgung sichern – Erdölförderung befristet gestatten; Välkommen northvolt – Schleswig-Holsteins Westküste wird zum Vorzeigestandort für nachhaltige Industrieansiedlung
Dazu sagt der energie- und landwirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Voß
Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Klimaschutz- Krisen gemeinsam lösen
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat bereits großes Leid gebracht, in allererster Linie für die Ukrainische Bevölkerung. An erster Stelle unserer Überlegungen muss daher die Frage stehen, wie wir unterstützen können, bei der Lebensmittelversorgung der Menschen in der Ukraine, bei der Versorgung des Viehs und bei der Aufrechterhaltung der Nahrungsmittelerzeugung im Land; soweit das überhaupt möglich ist. Darum begrüße ich, dass im BMEL ein Koordinierungsstab eingerichtet wurde, der dafür sorgt, dass Nahrungsmittel mit LKWs an die Grenze und in die Ukraine geliefert werden; und auch viel bereits geliefert wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Krieg ist aber auch in seinen Auswirkungen auf die weltweite Ernährungslage gravierend und treibt mit den Energiepreisen zugleich die Getreidepreise in die Höhe. Zum einen liegt das am hohen Exportanteil der Ukraine und Russlands bei Weizen, Mais und Ölsaaten. Zum anderen an der Verteuerung von energieaufwendig erzeugtem Stickstoffdünger.
Von höheren Getreidepreisen sind vor allem die Länder im globalen Süden betroffen, die stark von Lebensmittelimporten abhängig sind. Das sind Länder des nördlichen Afrikas wie Ägypten, Libyen, Tunesien, aber auch asiatische Staaten wie Indonesien, Bangladesch, Pakistan und andere. Darum müssen wir an zweiter Stelle darüber nachdenken, wie wir diesen Ländern helfen können. Dazu braucht das Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen mehr Mittel, um die Kostenexplosion bei der Nahrungsmittelhilfe aufzufangen. Darum ist es gut, dass sich bereits am 11. März die Agrarminister*innen der G7-Länder auf Einladung Cem Özdemirs zusammengefunden und sich auf Unterstützung der Hilfsorganisationen, ein Offenhalten der Märkte und eine verstärkte Marktbeobachtung zur Verhinderung von Nahrungsmittelspekulation verständigt haben.
Darüber hinaus müssen wir die Entwicklungszusammenarbeit verstärken, um zu helfen, die Fähigkeit zur Eigenversorgung und die Situation der Kleinbauern in diesen Ländern zu verbessern. Eine Kürzung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit bei höheren Militärausgaben darf es nicht geben. Wir werden deutlich nachlegen müssen.
Auch wenn die nicht zu begreifenden Schrecken des Krieges in der Ukraine alles überlagern: Wir müssen den Krisen gebündelt vorbeugen und diese auch zusammen lösen. Ich kann den Vorschlägen, die jetzt in Sachen Agrarpolitik, auch hier im Hause, als pauschaler Reflex kommen, nur zurückweisen.
Hier wird eine sogenannte 4-Prozent-Flächenstilllegung, die im Zuge der Agrarreform ab 2023 kommt, herangezogen, um ein Bild zu zeichnen, dass es hier um die Vernichtung einer Fläche ginge, die sonst der Ernährung zur Verfügung stünde.
Circa 2 Prozent sind mindestens Landschaftselemente wie Bäume und Knicks, Kleingewässer. Das sind Flächen, die zum Beispiel Randstreifen mit geringen Ertragserwartungen sind. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Fruchtfolgen für eine Ertragsstabilität, Bodenfruchtbarkeit und damit langfristige Ertragssicherheit.
Die Grenzen der Düngeverordnung aussetzen zu wollen ist doch völlig widersinnig. Gerade bei hohen Stickstoffdüngepreisen sollten und werden die Betriebe doch alles daransetzen, die organischen Dünger wie Gülle möglichst sparsam und effizient zu verteilen. Natürlich müssen Fläche und Tierbestände wieder mehr zusammengebracht werden. Die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie und Biodiversitätsstrategien der EU versenken zu wollen, schlägt dann wirklich dem Fass den Boden aus. Mit diesen Strategien werden langfristige Ziele verfolgt, die der Ertrags- und Versorgungssicherheit bei uns dienen – dazu gehört eben elementar Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität.
Damit will ich das Problem des Hungers nicht kleinreden. Bereits durch Corona hatte sich die Lage verschärft, wurden weltweit zusätzlich 141 Millionen Menschen in akuten Hunger getrieben. Diese Zahl stammt von Martin Frick, der Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms. Die zu erwartenden Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bezeichnet er als dramatisch. Er sagte aber auch, in einem Interview am 10. März: „Lokale Märkte spielen eine ganz wesentliche Rolle, denn 80% der Welternährung wird immer noch von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern produziert. […] Die Covid-Krise und die Schockwellen des Ukraine-Konflikts zeigen, dass wir resiliente, lokalisierte Nahrungsmittelsysteme brauchen.“ Stattdessen darben aber die kleinen Erzeuger*innen in vielen Ländern vor sich hin, haben nur unzureichend Zugang zu Land und Ressourcen, die regionalen Lebensmittelmärkte sind durch Importe geschwächt und die Menschen in den Städten ernähren sich mehr und mehr von Importprodukten.
Wir können daher diese Debatte nicht losgelöst von einer entwicklungspolitischen Debatte führen. Wir müssen unsere Landwirtschaft nachhaltig aufstellen, jetzt erst recht. Herr Professor Taube hat uns das im Agrarausschuss auch klar dargelegt. Eine Reduzierung der mineralischen Stickstoffdüngung ist nicht nur möglich und sinnvoll, sondern sogar geboten. Der anfallende organische Dünger kann besser genutzt und verteilt werden. Stickstoff gibt es genügend in der Luft, er kann durch Leguminosen und Fruchtfolgegestaltung für die Pflanzen nutzbar gemacht werden. Was wir brauchen ist eine bessere Verteilung von Lebensmitteln, Finanzhilfen für das Welternährungsprogramm, ein Lebensmittelrettungsgesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln - 30-40 Prozent landen im Müll, mehr Kreislaufwirtschaft, das heißt flächengebundene Tierhaltung, und ausgewogenere Flächennutzung - 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird für den Anbau von Futtermitteln und Kraftstoffen genutzt.
Sehr geehrte Damen und Herren, bisher habe ich wenig zu den Auswirkungen für die Menschen in Schleswig-Holstein gesagt. Es war mir wichtig, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Doch werden auch hier die Lebensmittelpreise ansteigen, zwar nicht dramatisch, aber so, dass es für Menschen mit geringem Einkommen spürbar wird. Dem muss durch gezielte entlastende Maßnahmen für vulnerable Gruppen entgegengewirkt werden. Aber auf keinen Fall mit der Gießkanne.
Und unsere Bäuer*innen, die ohnehin durch die erforderliche Transformation der Landwirtschaft sehr gefordert sind, müssen und wollen wir unterstützen, die erforderlichen Anpassungen zu leisten. Ich begrüße daher sehr, dass der Bundeslandwirtschaftsminister bereits erste Maßnahmen getroffen hat, um die Landwirtschaft zu entlasten und auch unsere Landesregierung für den 11. April zu einem Ernährungsgipfel eingeladen hat.
Ich komme zur Energie. Hier ist über Jahrzehnte eine Energiepolitik, der billigen fossilen Energien ausgelebt worden: Kohle, Öl und Gas. Diese Politik hat uns in eine dramatische, einseitige Abhängigkeit getrieben. Es geht um mehr als die Grenzen der Globalisierung und der Abhängigkeit von Lieferketten, die schon mit der Pandemie sichtbar geworden sind. Es geht um eine verantwortungsvolle Energieaußenpolitik, eben auch Sicherheitspolitik und in ihrer Komplexität auch Friedenspolitik sein musst. Die verheerenden Ergebnisse der Politik der letzten Bundesregierungen sehen wir. Wir importieren täglich für 200 Millionen Euro Energien allein aus Russland nach Deutschland - mit all den Auswirkungen, die das hat. Gerade mal erst 15 Prozent sind Erneuerbare Energien. Es geht eben neben Klima auch um Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Das gewähren wir nur mit dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und ihrer Technologien. Wir müssen Krisen gemeinsam lösen und nicht mit Reflexen in die Politik der Vergangenheit verfallen.
Ja, die aktuelle Situation fordert dramatisch. Aber wir sehen dieser Tage auch die Erfolge des zähen, jahrzehntelangen Streitens für den Ausbau der Erneuerbaren in Ansiedlungsentscheidungen, die sich an ihnen orientieren: Als Tesla nach Brandenburg gegangen ist, war ein wichtiges Kriterium auch die Versorgungperspektiven mit Erneuerbaren. So war es auch bei der Entscheidung zur Chipproduktion in Sachsen-Anhalt von voriger Woche und bei der geplanten Batteriefabrik – die viel Energie brauchen wird – an Schleswig-Holsteins Westküste: Das sind Standortentscheidungen, die auf unsere Energiepolitik setzen.
Ich sage das aber auch mit etwas Sorge: Wenn ich an den 2017er Wahlkampf zurückdenke, die Zeit danach und alle Argumente, die immer wieder gegen den Ausbau der Erneuerbaren vorgebracht werden. Trotz der Positionen wider die Erneuerbaren Energien, die immer wieder vorgebracht werden: Wirtschaft und Gesellschaft brauchen Verlässlichkeit in Wandel und Transformation. Wir streiten für den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren. Krisen können nur zusammen gedacht und gelöst werden. Wir haben jetzt die Freiheit, uns eine Zukunft in Freiheit; Sicherheit und mit Entwicklung aufzubauen.
Zum LNG beziehungsweise Multi-Energie-Terminal: Das ist, solange wir Erdgas brauchen, eine Investition in die Energiesicherheit. Daher ist eben auch eine Kalkulation der Wirtschaftlichkeit und der Ausnutzung schwierig. Deshalb ist es gut, dass Umsetzung und Finanzierung da sind, wo sie hingehören – beim Bund. Es ist zugleich für uns wichtig, dass über Schleswig-Holsteins letzten Tiefwasserhafen auch zeitnah mit dem Umschlag von grünen Wasserstoffen und deren Derivaten begonnen werden kann. Die erste Vorentscheidung hat RWE mit dem potentiellen Umschlag von grünem Ammoniak bereits getroffen. Wir brauchen aber den diskriminierungsfreien Zugang zum Hafen und zu erforderlichen Gewerbe- und Industrieflächen, auch für weitere Unternehmen, die Erneuerbare umschlagen wollen.
Wir brauchen parallel zur Erdgasleitung einen Anschluss an ein überregionales Netz für grünen Wasserstoff, damit für Industrieprozesse und Schwertransporte mittelfristig reiner Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Natürlich sollten in diesem Zusammenhang die Trasse und der Korridor des regionalen Versorgers mit in die Überlegungen einbezogen werden.
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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
im Schleswig-Holsteinischen Landtag
Claudia Jacob
Pressesprecherin
Düsternbrooker Weg 70
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Durchwahl: 0431 / 988 - 1503
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Verantwortlich für die Herausgabe dieser Presseinformation ist Clara van Biezen.
Kategorie
Energie | Europa | Klima | Landtag | Pressemitteilung | Rede
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