Wir brauchen starke Kräfte für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU

Rede im Landtag zum Thema 'Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU' Der Erfolg der Europäischen Union beruht nicht nur auf der Schaffung von Frieden, sondern auch auf dem Konsens über gemeinsame Grundwerte. Auf diesen Konsens haben sich alle Mitgliedstaaten durch Artikel 2 des EU-Vertrages verständigt:   Für einen Beitritt zur Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der EU 1993 bei ihrem Treffen in Kopenhagen drei Kriterien formuliert: Das politische, das wirtschaftliche und das Acquis-Kriterium.

11.12.20 –

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 29 – Für Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU

Dazu sagt der europapolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Voß:

 

 

Sehr geehrtes Präsidium,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Erfolg der Europäischen Union beruht nicht nur auf der Schaffung von Frieden, sondern auch auf dem Konsens über gemeinsame Grundwerte. Auf diesen Konsens haben sich alle Mitgliedstaaten durch Artikel 2 des EU-Vertrages verständigt:

 

Für einen Beitritt zur Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der EU 1993 bei ihrem Treffen in Kopenhagen drei Kriterien formuliert: Das politische, das wirtschaftliche und das Acquis-Kriterium.

 

Diese „Kopenhagener Kriterien" müssen alle Staaten erfüllen, die der EU beitreten wollen. Über das politische Kriterium, das bedeutet institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten, sprechen wir heute.

 

Es ist richtig, dass die EU gegenüber beitrittswilligen Staaten auf dieser Grundlage fordernd und disziplinierend auftritt und ihnen strenge Auflagen machen. Aber es ist falsch, dass das nicht mehr in der Konsequenz nach deren Beitritt erfolgt.

 

Mit dem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 wurde von der Kommission nun erstmals eine Bestandsaufnahme der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten durchgeführt. Auf Basis dieses Berichts tritt die Kommission in Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und anderen EU-Organen und erhofft sich dadurch freiwillige Änderungen in den Mitgliedstaaten. Diesen jährlichen Prozess bezeichnet die Kommission als „Rechtstaatsmechanismus“.

 

Das bisherige Vorgehen, die Aufzählung der Verfehlungen in der Hoffnung auf Einsicht der Verantwortlichen, erscheint mittlerweile äußerst naiv. Das Prinzip des „naming and shaming“ hat sich längst überholt. Die EU darf nicht wegsehen, wenn einzelne Regierungen wie in Polen oder Ungarn die Demokratie in ihrem Land schwächen. Der einzige verbleibende Weg ist das, was immer gut funktioniert – Geldkürzungen.

 

Im November haben sich die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament nach monatelangen Verhandlungen auf eine Verknüpfung der Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien mit dem EU-Haushalt und dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ geeinigt – das ist gut so.

 

Finanzkürzungen könnten bei Verfehlungen mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedstaaten eingeleitet werden - der Nachweis von Verfehlungen ist schwierig genug. Aber dass es eine solche Rechtsstaatskonditionalität möglicherweise geben könnte, stellt schon einen Erfolg dar.

 

Es ist uns besonders wichtig, dass alle Kommunen, Städte und Regionen von betroffenen Mitgliedstaaten so wenig wie möglich unter ihren autoritären Staatsoberhäuptern leiden dürfen. Daher ist eine Option, dass die EU erheblich mehr als bisher Städten, Regionen und Kommunen den direkten Zugang zu EU-Fonds ermöglicht. Dafür müssen Kommunen und Regionen nachweisen, dass sie sich strikt an Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Transparenz halten. So kann Förderung nicht nur schneller und zielgenauer umgesetzt werden, sondern es ist auch ein Zeichen von Solidarität, nicht alle über einen Kamm zu scheren und rechtsstaatliche Strukturen zu stärken.

 

Wie ist jetzt die Einigung im Rat der Staats- und Regierungschef*innen von gestern zu bewerten: Das Vetorecht einzelner Länder und damit die Möglichkeit, den EU-Haushalt für Wiederaufbau und den Green Deal zu blockieren, ist an dieser Stelle nicht mehr vorhanden.

 

Aber allein aus dem jetzt laufenden EU-Haushaltsplan kann Ungarn noch über zehn Milliarden Euro abrufen, Polen noch fast 40 Milliarden Euro. Es muss endlich aufhören, dass Autokrat*innen in Europa weiter scheinbar bedingungslos subventioniert werden. Anders als geplant sind von dem Rechtsstaatmechanismus nur Verstöße gegen Haushaltsfragen, nicht aber gegen Pressefreiheit, Meinungsfreiheit oder die Unterdrückung von Minderheiten maßgeblich.

 

Es werden also weiter Fakten geschaffen. Kaum ein*e entlassene*r Richter*in wird wiedereingestellt, Redaktionen wiedereröffnet, ein zerstörter Ruf wieder hergestellt, und kein in den Ruin getriebenes Unternehmen wieder aufgebaut, wenn das EuGH Jahre später doch Unregelmäßigkeiten bestätigt.

 

Es ist eine Chance vertan worden, autokratische Länder endlich in rechtsstaatliche Grenzen zu weisen. Bei allem Respekt vor dem Erreichten: Wir tun uns keinen Gefallen, das Beseitigen des Vetos gegen den Haushalt an dieser Stelle als durchtragenden Erfolg zu feiern.

 

Polen hat mit der Solidarnosc-Bewegung vor vierzig Jahren begonnen, die Freiheit von einem autokratischen Staat zu erstreiten und die Öffnung Europas eingeleitet. Wir brauchen auch heute in allen Ländern starke Kräfte für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

 

Ohne sie ist der Rechtsstaat der Verlierer.

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