Vielfalt ist der Weg für eine Land- und Ernährungswirtschaft mit Zukunft

Rede im Landtag zur Förderung zum Erhalt seltener Nutztierrassen und Kulturpflanzen (20. Februar 2020) sagt der landwirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Voß:

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Agrobiodiversität, die Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und Nutztieren, ist für unser Überleben ebenso wichtig wie der Schutz der Vielfalt bei Wildpflanzen und Wildtieren. Ich bedanke mich bei der Landesregierung für diesen Bericht. Zugleich möchte ich mich auch bei all denen bedanken, die als Landwirt*innen und Gärtner*innen auf ihren Betrieben, auf ihren Feldern, als Mitglied in Tierzuchtverbänden, in ihren Obstgärten oder an den Hochschulen, in großen und kleinen Einrichtungen wie dem Tierpark Warder und der Stiftung Naturschutz daran mitwirken, die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere zu bewahren und weiter zu entwickeln. Und auch, wenn dazu für Ehrenamtliche sowie Betriebsinhaber*innen Engagement, Liebe zur Sache, ein gutes Auge und Detailkenntnisse gehören, ist das weit mehr als Liebhaberei.

Genetische Diversität bei Nutzpflanzen und -tieren ist ein einmaliges und unersetzbares Erbe jahrhundertlanger landwirtschaftlicher Tätigkeit, so heißt es in dem Bericht. Ganz genau. Jahrzehntelang wurde in der Züchtung viel zu einseitig auf Merkmale der Hochleistung und gesetzt. Das hat Produktivitätsfortschritte gebracht. Aber es sind Risiken und Verluste damit verbunden. Unsere Ernährung beruht weltweit zu 90 Prozent auf nur drei Getreidearten: Weizen, Reis und Mais. Und da dominieren wenige Sorten. Auch innerhalb der Arten schrumpft das Spektrum. Es ist eine Erosion, die da stattgefunden hat. Und dabei ist die genetische Bandbreite, die durch Jahrhundertelange Züchtungsarbeit gewachsen ist, riesengroß.

Ich habe einmal in die Rote Liste der gefährdeten Nutzpflanzen für Deutschland geschaut. Da gibt es sage und schreibe 77 Hafersorten und 122 Weizensorten. Diese Bandbreite müssen wir erhalten und perspektivisch auch nutzen. Trotz der scheinbaren Vielfalt, die wir meinen im Supermarkt vorzufinden, laufen wir in eine gefährliche Verarmung unserer Ernährungsgrundlagen.

Nebenbei bemerkt: Es gut, dass es auch Nachfrage und einen Markt für Erzeugnisse aus seltenen Sorten und Arten gibt. Verbraucher*innen können so nach dem Motto „Bewahren durch Aufessen“ einen Beitrag für den Erhalt unserer Vielfalt leisten. Das gilt auch für die Nutztiere. Ob Milchkuh, Schwein oder Geflügel, einige wenige Rassen machen den Großteil der Bestände aus. Innerhalb der Rassen dominieren wenige Zuchtlinien. Besonders krass ist die Situation beim Geflügel.

Durch diese extreme Auslese werden einerseits Legeleistung bei Legehennen und das Muskelwachstum bei Masthühnchen gepuscht bis ans physische Limit und darüber hinaus, andererseits sind diese Tiere aufgrund ihrer genetischen Verarmung auch anfälliger für Krankheiten. Im Pflanzenbau haben einseitige Fruchtfolgen zu höheren Pestizideinsätzen und einer Abnahme bei Insekten geführt. Trotzdem, oder besser gesagt genau deswegen, steigen die Risiken von Schädlingsbefall, zum Beispiel mit Maiszünsler.

Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir dringen wieder mehr Vielfalt bei Kulturpflanzen und Nutztieren. Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, denn durch Vielfalt entsteht Widerstandsfähigkeit, oder auch, wie man neuerdings sagt, Resilienz. Sorten, wie sie zum Beispiel in der Pflanzenzucht für den Ökolandbau entwickelt werden sollten, die eine größere Variationsbreite der Pflanzen innerhalb der Sorten haben, können besser auf verändernde Umweltbedingungen und Umweltstress wie Pflanzenkrankheiten, Schädlinge und Wetterextreme reagieren. Sie können mehr zur Ernährungssicherung beitragen, als die einseitig gezüchteten Hochertragssorten. Und sicher auch mehr als Gentech-Designerpflanzen, die es hoffentlich auf unseren Äckern hier nie geben wird, und am besten auch nicht anderswo.

Mit der Entwicklung von angepassten und widerstandsfähigen Sorten lässt sich das Risiko für Ausfälle verringern und die Ertragsstabilität verbessern. Durch Einkreuzung alter Rassen in einseitig gezüchtete Tierbestände werden eine artgerechte, robuste Haltung und auch eine Mehrfachnutzung, also für Mast und Milch, für Mast und Legeleistung, wieder möglich. Darum ist es gut, dass der Bund die Länder bei dieser Aufgabe unterstützt. Finanziell im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, konzeptionell mit seiner bereits in 2007 vorgelegten Strategie zur Agrobiodiversität. Das wird er hoffentlich auch zukünftig tun oder besser noch ausweiten.

Ebenso hoffe und erwarte ich, dass dieser Aspekt auch in der Umsetzung der EU Agrarpolitik eine stärkere und wirksamere Berücksichtigung als bisher findet. Denn Vielfalt ist der Weg für eine Land- und Ernährungswirtschaft mit Zukunft.

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